Direkt neben dem Wienerberg lässt sich ein besonderes architektonisches Schmankerl finden, das bereits aus weiter Entfernung die Skyline des zehnten Wiener Gemeindebezirks Favoriten ziert – der Karl-Wrba-Hof. Dank seiner markanten braunen Außenfassade, die aus grell-braunen Eternitplatten besteht, wird er umgangssprachlich von den Favoritnern auch liebevoll als “die Senfbauten” bezeichnet.
Und obwohl die dreißig Jahre alte Fassade mittlerweile von einem dunkelgrauen Schleier aus Dreck überzogen ist und einzelne Kacheln an der Fassade erneuert wurden, lässt sich die ursprüngliche braune Farbe noch gut erkennen und hat, besonders aus einer gewissen Distanz, kaum an ihrer ursprünglichen Farbintensität verloren. Seinen Namen verdankt der Karl-Wrba-Hof übrigens dem ehemaligen Bezirksvorsteher von Favoriten. Ob der seine Namenspatenschaft allerdings als Ehrung ansieht, bleibt zu bezweifeln. Gebaut in den späten Siebzigerjahren, hat die monumentale Wohnhausanlage der Gemeinde Wien auf mehrstöckig verschachtelten Bauebenen Platz für mehr als eintausend neue Wohnungen geschaffen, die auf insgesamt 35 Stiegen verteilt sind.
Verdrängt haben die Senfbauten damals eine idyllische Kleingartensiedlung, aber wer braucht schon einen Garten in der Stadt, wenn man dafür in einem Gebilde aus übereinandergestapelten Wohnräumen leben kann. Hauptverantwortlich für die fragwürdige Farb- und Formauswahl ist Architekt und Stadtplaner Rupert Falkner, der mit sieben weiteren Architekten den monumentalen Gemeindebau geplant hat. Die stufenförmige Fassade ist (angeblich) inspiriert von mediterranen Kleinstädten und Dörfern, mit verschachtelten, über den Hang verteilten Häuschen. Auch die schmalen Gassen des Gemeindebaulabyrinths sind von diesem Vorbild inspiriert. Wobei die ursprüngliche Idee des Architekten kaum in dem braunen Monster wiedergefunden werden kann. Der Bau erinnert optisch eher an einen Termitenhügel, als an ein kleines Dörfchen am Mittelmeer.
Wo so viele Leute wohnen, entsteht natürlich auch viel Dreck und den Senfbauten in Favoriten sieht man an, dass sie bereits in die Jahre gekommen sind und ihre Glanzzeit schon hinter sich haben. Fehlende Fassadenteile, besprühte Sitzbänke und verwachsene Wände lassen bessere Zeiten des Gemeindebaus erahnen. Aber sie zeugen auch vom Leben, das in dem Bau stattfindet. Immerhin wohnen dort mittlerweile mehr als 3.000 Menschen, was fast 2% aller Bewohner in Favoriten ausmacht. Bei dieser großen Bewohneranzahl kommt es häufig zu Konflikten und Massen an Müll, den so eine große Menschenmenge nunmal hinterlässt, weswegen der Karl-Wrba-Hof oft von Wienerinnen als Schandfleck oder dreckig eingestuft wird. Nicht umsonst wird der senfbraune Bau auch oft mit dem Wort Gemeindebaughetto in Verbindung gebracht.
Seinen Bewohnern sollten die Senfbauten ursprünglich als Stadt in der Stadt dienen, was das Prinzip von vielen Gemeindebauten widerspiegelt; die Bewohner finden alle wichtigen Einrichtungen, die sie zum alltäglichen Leben brauchen, direkt in ihrer Anlage. Neben zwei Kindergärten, einer Volksschule, die zuletzt sogar erweitert wurde, und einer Polizeistation, befindet sich auch eine Art Ekazent in den Senfbauten, sowie ein Arzt, ein Pensionistenklub und mehrere andere Lokalitäten. Vor einigen Jahren hat sogar eine Bankfiliale den Anlaufpunkt Nummer eins für Bewohner des Gemeindebaus und der unmittelbaren Umgebung gebildet, diese wurde allerdings mittlerweile geschlossen.
Dabei wirkt die Struktur der Senfbauten alles andere als einladend. Verschachtelt, verwinkelt und unübersichtlich sind wahrscheinlich die Worte, die den Gemeindebau am besten beschreiben – und natürlich: braun. Ohne Vorkenntnisse oder Anleitung ist es schwer, sich in dem Bau zurechtzufinden. Zusammengefasst bleibt es also ein Rätsel, wie insgesamt acht Architekten ein derartiges Gebilde schaffen konnten ohne, dass jemand ein Veto einlegt. Mit seiner außergewöhnlichen Form und gewöhnungsbedürftigen Farbe hat sich der Karl-Wrba-Hof allerdings einen besonderen Platz im Herzen der Favoritner gesichert und wird mit Sicherheit auch in den kommenden Jahren einer der schiachsten Gemeindebauten in Favoriten – wenn nicht sogar in ganz Wien – bleiben.
Fun Facts: Hervorgebracht hat der Wiener Gemeindebau übrigens den Wiener Rapper Nazar, der in den Senfbauten aufgewachsen ist. Außerdem wird der Gemeindebau gerne als Übungsort für Traceure (Parkourläufer) genutzt.